BITE Homepage BITE-Zwischenbericht 1997
Ergebnisse Windows-Anpassungen Stichwortverzeichnis
3. Fazit
Die
Produktprüfungen beziehen einen repräsentativen
Querschnitt der im
Frühjahr 1997 in
Deutschland angebotenen
Windows-
Anpassungen für
Blinde ein. Insgesamt beteiligten sich 11
Anbieter an dem
Verfahren. In den praktischen
Prüfungen wurden 6
Screen
Reader in 9 verschiedenen
Hilfsmittelkonfigurationen getestet, über einen weiteren Screen Reader (
Protalk) liegen
Auskünfte eines
Anbieters vor. An der
Anbieterbefragung beteiligten sich 5 Anbieter, detaillierte
Kommentare zu den
Protokollen der praktischen
Prüfung wurden von 4
Anbietern zurückgesandt. Somit stehen die hier vorgestellten
Ergebnisse auf einer aussagekräftigen Datenbasis.
Der schnelle
Fortschritt der
Bürotechnik wirft die
Frage auf, inwieweit die im Frühjahr 1997 erhobenen
Daten für die
Beurteilung der heute angebotenen Windows-Anpassungen noch verwertbar sind. Während die Prüfung noch unter
Windows 3.11 stattfand, sind heute alle Screen Reader in einer
Nachfolgeversion für Windows 95 am
Markt - eine
Umstellung, die
Berichten der
Hersteller zufolge erhebliche
Neukonzeptionen auf
Systemebene erforderte. Aktuell laufen die
Entwicklungen für Windows 97/98 und Windows
NT. Es ist zu vermuten, daß die heute angebotenen Screen Reader in vielen
Einzelaspekten verändert, aber nicht unbedingt besser sein werden als ihre
Vorgänger im Frühjahr 1997.
Relativ stabil werden die
Produktphilosophien und die
Schwerpunkte der blindengerechten
Umsetzung der grafischen
Bedienoberfläche geblieben sein. Somit kann der unter Windows 3.11 erreichte
Stand der Windows-Anpassungen als
Grundlage betrachtet werden, um sich ein
Bild von den
Konzepten und dem
Leistungsspektrum der
Produkte zu machen. Auf dieser
Basis können die heute gültigen
Einzelleistungen beim Anbieter nachgefragt werden.
Die den
Anforderungskriterien entsprechenden
Produktleistungen konnten durch das
Konzept der ganzheitlichen
Musteraufgaben zuverlässig gemessen werden. Es wurde ein
Instrument entwickelt, das den getesteten
Produkten auf ihrem erreichten
Entwicklungsstand gerecht wird und bei entsprechender
Pflege in der
Lage ist, die
Fortschritte über eine längere
Zeit hinweg zu verfolgen. Zugleich wurde in den erzielten
Ergebnissen
Grundlagenwissen über die mit den
Hilfstechniken realisierbaren
Arbeitsaufgaben und
Arbeitsweisen geschaffen.
Das verfeinerte
Prüfkonzept wurde anhand der
Textverarbeitung exemplarisch ausgearbeitet und kann auf andere
Standardanwendungen (
Tabellenkalkulation,
Datenbanken etc) übertragen werden.
Textverarbeitung
Die Textverarbeitung mit
WinWord 6.0 wurde in der praktischen Prüfung am eingehendsten untersucht. Zugleich war dies offensichtlich die von allen
Herstellern am gründlichsten ausgearbeitete
Anwendung. Zahlreiche aus der
Anfangszeit der Windows-Anpassungen für Blinde berichtete
Probleme, insbesondere die
Kontrolle der
Markierung und die
Cursorverfolgung in
Tabellen und
Formularen, waren vielfach bereits gelöst. In der Kontrolle der
Zeichenformate hatten einige Hersteller viel
Arbeit und auch konzeptionelle Weiterentwicklungen gegenüber dem unter
MS
DOS erreichten Stand geleistet.
Zur einfachen Textverarbeitung waren alle Produkte einsetzbar. Bei anspruchsvollen
Schreibarbeiten und bei den spezielleren
Aufgaben für
Sekretariat und
Sachbearbeitung teilte sich das Bild. Rein dialoggesteuerte
Abläufe waren im allgemeinen unproblematisch, während die grafischen
Hilfslinien, die zur
Orientierung in Tabellen,
Kopf-/
Fußzeilen etc. dienen, von keinem
Produkt angezeigt wurden.
Bedienelemente wie
Listfelder,
Symbolschaltflächen und
Rollbalken waren in den spezielleren
Funktionen des
Programms oftmals nicht zugänglich. Hieran wird deutlich, daß die automatischen
Erkennungsleistungen der Screen Reader relativ gering sind und die Hersteller
Anpassungsarbeiten auf der
Ebene einzelner Bedienelemente leisten müssen.
Unterschiedliche Schwerpunkte der Produkte wurden in einzelnen Funktionen deutlich. Bei dem im
Test festgestellten Entwicklungsstand waren aber die Stärken und Schwächen der Produkte zu breit gestreut, um klare
Gruppierungen herausarbeiten zu können. Für die weitere
Entwicklung kann die Frage festgehalten werden, inwieweit
Spezialisierungen der Produkte auf bestimmte
Zielgruppen zu beobachten sind.
Die Anbieterbefragung zeigt zahlreiche
Lücken in der
Kompatibilität der Windows-Anpassungen mit handelsüblicher
Software. Es wurden nur die meistverbreiteten
Standardprogramme als bedienbar bezeichnet, wobei die Kommentare der Anbieter darauf hinweisen, daß die vollständige Zugänglichkeit der
Programme nicht beansprucht werden kann.
In der praktischen Prüfung bestätigte sich diese
Aussage.
Getestet wurden die Standardprogramme WinWord 6.0,
WordPerfect für Windows 6.1,
Excel 5.0 und
Access 2.0. Obwohl die
Bedienbarkeit dieser Programme von den meisten Herstellern bejaht wurde, zeigten alle Screen Reader bei einer relativ oberflächlichen
Überprüfung erhebliche
Ausfälle in der Zugänglichkeit der Bedienelemente. Unter diesen
Bedingungen waren praxisrelevante
Aussagen über die Nutzbarkeit der Programme nur möglich, wenn bestimmte
Arbeitsabläufe und Arbeitsweisen eingehend untersucht wurden. Dies wurde exemplarisch anhand der Textverarbeitung mit WinWord 6.0 ausgeführt. Für die anderen Standardanwendungen waren die Musteraufgaben weniger umfassend angelegt, so daß angesichts der begrenzten
Aussagekraft auf eine detaillierte
Darstellung der gewonnenen
Testergebnisse verzichtet wurde.
Nach Aussage mehrerer Anbieter sind Anpassungsarbeiten auf der Ebene einzelner Bedienelemente immer dann erforderlich, wenn bei der
Programmierung keine
Windows-Standardelemente verwendet wurden. Dieser
Standard wird offenbar selbst von
Microsoft für seine eigenen Produkte als wenig verbindlich angesehen. Von
OS/2-
Programmen, die zum
Zeitpunkt der
Erhebung nur mit
IBM
SR/2 bedienbar waren, werden geringere
Anpassungsprobleme berichtet. Auf dem gegenwärtigen Stand der Technik bedeutet es für die Hersteller
Fleißarbeit, Programme unter MS WIndows in allen ihren
Teilen zugänglich zu machen. Dieser
Aufwand wird offenbar auf das Notwendigste begrenzt. Ob eine
Funktion wie der
Seriendruck in WinWord 6.0 bedient werden kann, entscheidet sich nach der
Nachfrage, die ein Anbieter von seinen
Kunden erfährt.
Nachschlagewerke waren ohne
Anpassung bedienbar, soweit sie nach herkömmlichen, textorientierten
Grundsätzen gestaltet waren.
Optisch anspruchsvolle
Gestaltungen wurden dagegen mit den automatischen Erkennungsleistungen der Screen Reader nicht sicher bewältigt. Die Testergebnisse zeigen unterschiedliche
Leistungen in der
Zuordung von
Textblöcken. Unterschiede in der
Erkennung grafischer Bedienelemente streuten stark und erlauben keine klare Aussage über Stärken und Schwächen der Screen Reader.
Bedienbarkeit
Wie oben ausgeführt, waren bei allen getesteten Produkten große Lücken in der
Wiedergabe grafischer Bedienelemente zu verzeichnen, die auf die noch unzureichende Erkennung von
Objekten außerhalb des
Windows-
Standards zurückzuführen sind. Abgesehen davon zeigten die Screen Reader die
Tendenz, alle vom
Anwendungsprogramm angebotenen
Wege zur
Bedienung einer
Programmfunktion verfügbar zu machen.
Text- und Symbolschaltflächen, Rollbalken,
Dropdown-
Felder,
Radio
Buttons etc. wurden von allen Produkten im
Prinzip angezeigt und waren mit der
Mouse-Funktion des
Hilfsmittels bedienbar. Die Wiedergabe nicht automatisch erkannter Bedienelemente bedeutet
Anpassungsarbeit für die Hersteller und wird offenbar nach engen
Prioritäten vorgenommen. Ein Hersteller (IBM) nannte als seine
Strategie, die
Mouse-Bedienung nur in speziellen
Situationen anzubieten, in denen keine konsistente
Tastaturunterstützung durch das Anwendungsprogramm gegeben ist.
Große Unterschiede gab es in der Art der Darstellung von
Bedienelementen. Sehr ausführliche
Informationen über den
Typ und den
Status eines
Bedienelements gab
Virgo. Die anderen Produkte zeigten in der
Regel eine
Mischung aus
Grundinformation und zusätzlichen Informationen, die per
Sprache,
Statussymbol etc. abgefragt werden konnten. Bei
Insight konnte die Art der Darstellung am weitgehendsten individuell eingestellt werden.
Viel diskutiert werden die Produktphilosophien zur
Darbietung des gesamten
Bildschirminhalts. Unterschieden werden flächige (
Windots), hierarchische (Virgo) und fokusorientierte
Strategien, den
Bildschirminhalt anzuordnen bzw. zu erkunden. Einige Produkte zeigten eine
Kombination dieser
Prinzipien. Die typischen
Informationsverluste, die jedes dieser Verfahren mit sich bringt, waren auch in den
Testergebnissen nachvollziehbar. So hatte Windots mehrmals Schwierigkeiten mit eng gefüllten
Dialogfeldern, bei Virgo waren gelegentlich der
Programmfokus oder auch ganze
Textblöcke nicht auffindbar, bei IBM SR/2 und
Blindows waren gelegentlich Bedienelemente nicht erreichbar, die vom
Programmierer als eigenes
Fenster angelegt waren. Diese
Nachteile konnten durch die Anpassungsarbeit des
Herstellers ausgeglichen werden und waren bei WinWord 6.0 für die täglichen
Routinearbeiten wenig bedeutsam. Der Unterschied der Verfahren kommt für den blinden
Anwender hauptsächlich dann zum
Tragen, wenn eine unbekannte
Bildschirmsituation oder ein neues
Programm erkundet werden sollen. Es werden jeweils unterschiedliche Herangehensweisen unterstützt, ein inneres Bild von den
Informationsstrukturen aufzubauen, mit
Auswirkung auf die
Erlernbarkeit und auf die
Kommunikation mit sehenden
Kollegen.
Sehr vielgestaltig waren die Sonderfunktionen der Produkte, mit denen
Sprünge,
Überwachungen,
Detailerkundungen etc. vorgenommen werden konnten. Ein Teil dieser Sonderfunktionen verfolgte den Zweck, Bedienelemente und
Anzeigen rasch aufzufinden. Andere waren speziell auf eine bestimmte
Programmsituation zugeschnitten. Die Sonderfunktionen vergrößerten den
Lernaufwand, erbrachten aber erhebliche
Arbeitserleichterungen oder auch erst die nötige
Präzision in der
Durchführung einer
Aufgabe. Eine bemerkenswerte Herangehensweise zeigte Virgo mit den separat gelieferten
WinWord-
Makros. Die in den Makros realisierten Funktionen glichen teils Lücken von Virgo aus, teils boten sie Alternativen für
Programmfunktionen, die für Blinde relativ umständlich zu bedienen waren. In einigen
Problempunkten konnten beispielgebende
Lösungen vorgelegt werden, wie etwa in der
Angabe der
Zellkoordinaten von Tabellen. Am
Beispiel der WinWord-Makros wurde deutlich, daß für tägliche Routinearbeiten eine große
Effizienzsteigerung erzielt werden kann, wenn das Anwendungsprogramm für den
Einsatz mit
Blindenhilfsmitteln passend gemacht wird.
Alle Produkte zeigten das
Bemühen, die grafische Bedienoberfläche mit spezifischen
Methoden für Blinde aufzubereiten. Die Unterschiede der Lösungen können aus ergonomischer
Sicht noch nicht hinreichend beurteilt werden. Sie bewirken jedoch eine enge
Produktbindung der blinden Anwender.
Die Anforderungskriterien verlangen eine multimediale Darstellung der grafischen Bedienoberfläche. In der praktischen Prüfung waren alle Screen Reader mit
Braillezeile und Sprachausgabe ausgestattet.
Taktile
Grafiken konnten mit keinem Produkt erzeugt werden.
Die
Installation mehrerer zusätzlicher
Ausgabegeräte verlangt entsprechende
Schnittstellen am
Computer und berührt die
Grenzen der heute üblichen
Standard-PCs. Einige Hersteller hatten die
Hardware ihrer Windows-Anpassungen baulich integriert (
Frank
Audiodata,
Baum) und benötigten für Braillezeile und
Spachausgabe nur eine
Schnittstelle.
Hedo erreichte denselben
Effekt, indem die
Standard-
Soundkarte genutzt wurde. Die übrigen
Installationen benötigten zwei Schnittstellen, IBM SR/2 und
Papenmeier darüber hinaus eine dritte für ein spezielles
Bediengerät bzw. einen
Kontrollmonitor. Der sparsame
Umgang mit Schnittstellen erwies sich in der praktischen Prüfung als ein wesentliches
Indiz für die einfache
Installierbarkeit der
Hilfsmittelsysteme.
Große Unterschiede bestanden in der Nutzung der Sprachausgabe. Von Windots und Virgo wurde die Sprachausgabe noch wenig eingesetzt. Bei IBM SR/2 war zu erkennen, daß dieser Screen Reader ursprünglich für Sprachausgabe konzipiert war und die Braillezeile ergänzend hinzugekommen war. Eine ausgeglichene Nutzung von
Braille und Sprache zeigte Blindows. Bei Insight konnte die
Ausgabe per Braille oder Sprache für viele
Detailinformationen individuell eingestellt werden.
Die praktische Prüfung ergab zahlreiche
Beispiele für gute
Problemlösungen durch den integrierten Einsatz von Braille und Sprache. So sagte IBM SR/2
Meldungstexte per Sprache an, während die Braillezeile die aktive
Befehlsschaltfläche zeigte. Mit Blindows konnte man die Zeichenformate eines auf der Braillezeile angezeigten
Zeichens durch
Druck auf den
Spaltenschieber ansagen lassen. Durch Sprache hatte man
Zugriff auf
Umgebungs- oder Detailinformationen, die bei alleinigem Einsatz der Braillezeile vergleichsweise umständlich zu gewinnen waren.
Die
Integration von Braille und Sprache als
Ausgabemedien sollte also von den Herstellern weiter vertieft werden. Die Anforderungskriterien sollten in dieser Hinsicht näher spezifiziert werden. Hierzu sollten
Erfahrungen mit neuen blindengerechten Arbeitsweisen von
Trainern und fortgeschrittenen
Anwendern zusammengetragen werden.
Berufliche Entwicklungschancen
Der
Rückschlag, den der
Computerzugang
Blinder unter MS Windows erlitten hat, wird in den Ergebnissen der
Produktprüfung von Windows-Anpassungen für Blinde eindrücklich illustriert. Während unter MS DOS jede textbasierte Software mit Blindenhilfsmitteln im Prinzip zugänglich war, muß man heute davon ausgehen, daß ein Blinder eine Software nur dann nutzen kann, wenn der Anbieter seines Hilfsmittels eine aufwendige Anpassung dafür angefertigt hat. Somit ist die
Auswahl der für Blinde verfügbaren Software begrenzt und bleibt in der Aktualität deutlich hinter dem Stand der Bürotechnik zurück. Mehr denn je hängt die
Einrichtung von
Blindenarbeitsplätzen von der
Bereitschaft der
Betriebe ab, eine
Insel im
EDV-
System zu schaffen.
Hinzu kommt, daß die
Ansprüche an die
Gestaltung von
Texten durch den
Sieg der grafischen
Bedienoberflächen gestiegen sind. Während man sich zu
DOS-
Zeiten in der
Büroarbeit mit dem
Schreibmaschinen-Layout zufriedengegeben hatte, wird heute der
Buchdruck als
Maßstab angelegt. Für differenzierte
Druckformate, Tabellen, synoptische
Darstellungen und eingebundene Grafiken zeigen die
Blindenhilfsmittel bisher kaum hinreichende
Darstellungskonzepte. Auch wenn hier noch viel zu verbessern ist, muß doch bezweifelt werden, ob die Textverarbeitung angesichts ihrer grafischen
Entwicklungsrichtung auf längere Sicht eine blindentypische
Tätigkeit bleiben kann.
Jedoch sind auch
Lichtblicke zu verzeichnen. Auf
Anhieb zugänglich waren im Test etwa die dialoggesteuerte
Formularbearbeitung und ein
Nachschlagewerk wie
D-Info. Alle im Test vertretenen Hersteller hatten
Konzepte zur blindengerechten
Aufbereitung der grafischen Bedienoberfläche vorgelegt. Diese
Erfolge lassen neue
Chancen erkennen.
Zwar hatten Blinde zu DOS-Zeiten vollen Computerzugang, doch wurde erst ein geringer Teil der betrieblichen Kommunikation per
EDV erledigt. Unter den grafischen Bedienoberflächen wird das papierlose
Büro immer lückenloser verwirklicht. Das Internet als elektronisches
Medium nimmt einen wachsenden
Anteil des gesellschaftlichen
Informationsaustausches ein. Die
Aussichten, daß Blinde an den neuen Entwicklungen Anteil haben können, sind gar nicht so schlecht - vorausgesetzt, daß die
Hilfsmittel den
Vorsprung der Bürotechnik einholen.
Während die Entwicklungschancen noch nebelhaft in der
Zukunft liegen, sind Blinde aktuell vom
Verlust ihrer Arbeit bedroht. Vor allem ältere und weniger qualifizierte
Arbeitnehmer werden den
Umstieg auf die grafischen Bedienoberflächen nicht bewältigen können. In dieser
Umbruchsituation sind nicht nur
Maßnahmen zur
Schadensbegrenzung erforderlich, sondern auch
Experimentierfelder, um neue
Berufsbilder für Blinde zu erproben.
Auf dem festgestellten Stand der Technik ist die Auswahl des geeigneten Hilfsmittels für einen bestimmten
Blindenarbeitsplatz eine schwierige Aufgabe, die durch die vorgelegten Ergebnisse der Produktprüfung von Windows-Anpassungen nur wenig erleichtert werden kann.
Am Beispiel der Textverarbeitung konnte gezeigt werden, daß nur
Grundfunktionen der Software generell bedienbar waren, während bei den spezielleren Funktionen Stärken und Schwächen der Windows-Anpassungen breit streuten. Die volle Zugänglichkeit eines
Anwendungsprogramms konnte nicht beansprucht werden. Unter diesen
Umständen müssen die Einzelleistungen eines Hilfsmittels mit den Arbeitsaufgaben am Blindenarbeitsplatz detailliert abgeglichen werden.
Die hier dargestellten
Produkteigenschaften sind nicht mehr aktuell, so daß die Einzelleistungen der heute angebotenen Produkte bei den Anbietern ermittelt werden müssen. Andererseits sollten die festgestellten Stärken und Schwächen im
Softwarezugang auch nicht überbewertet werden. Bei dem gegenwärtigen raschen
Entwicklungstempo mit
Update-Zyklen von wenigen
Monaten kann der Vorsprung eines
Produkts in einem
Einzelaspekt schnell eingeholt sein. Die
Leistungsfähigkeit eines Anbieters zeigt sich erst bei längerer
Beobachtung. Auch die angebotene
Dienstleistung, insbesondere die Möglichkeit einer
Testinstallation und die Bereitschaft, die gewünschten Leistungen im
Angebot zuzusichern, sollte berücksichtigt werden.
Angesichts der großen Unterschiede in den
Bedienkonzepten der Screen Reader ist die Erlernbarkeit durch den blinden Anwender ein sehr individueller
Faktor, der den
Erfolg der beruflichen
Eingliederung nachhaltig beeinflussen kann. Eine bereits vorhandene Braillezeile kann nicht unbedingt als Indiz genommen werden, daß der Anwender mit dem dazu angebotenen Screen Reader für MS Windows zurechtkommen wird. Eine Möglichkeit, die Erlernbarkeit der in Frage kommenden Produkte zu vergleichen, geben die
Kurse der
Berufsförderungswerke. Ebenfalls wichtig ist eine eingehende
Schulung, in der die
Einstellungsmöglichkeiten des Hilfsmittels ebenso wie die Arbeitsaufgaben berücksichtigt werden können.
Die Ergebnisse der Produktprüfung lassen darauf schließen, daß die Hersteller der Windows-Anpassungen aktuell damit ausgelastet sind, dem raschen Entwicklungstempo der Bürotechnik nachzueilen. Nach
Auskunft eines Herstellers (
Novotech) wird der Aufwand für die Anpassung eines Anwendungsprogramms in
Mannmonaten gerechnet. Hierbei ist noch keine volle Zugänglichkeit aller Programmfunktionen gewährleistet. Bei jeder neuen
Version von MS Windows beginnt die Arbeit von vorne.
Anzeichen für eine
Spezialisierung der Hersteller auf bestimmte Zielgruppen waren nur in
Ansätzen zu erkennen. Die Stärken und Schwächen der Produkte waren breit gestreut.
Offenbar lassen sich in der aktuellen Umbruchsituation keine klaren
Tendenzen feststellen, wie die Nachfrage der blinden Anwender sich entwickeln wird.
Ein
Durchbruch für den breiteren
Zugang Blinder zu Software unter MS Windows kann nur erwartet werden, wenn es gelingt, die automatischen Erkennungsleistungen der Screen Reader zu verbessern. Die Weiterentwicklung der
Algorithmen der
Objekterkennung wäre ein möglicher Weg. Ein anderer Weg wird darin gesehen, daß die Software den
Hilfsmitteln entgegenkommt. Die
Ansätze von Microsoft, mit seiner
Active
Accessibility (
MSAA) die
Programmierschnittstelle von MS Windows zu öffnen, werden aber von der
Mehrzahl der
Hilfsmittelentwickler noch skeptisch beurteilt. Eine strengere
Standardisierung der Programmierung kann sicherlich bis auf weiteres nicht durchgesetzt werden.
Als
Übergangslösung ist der
Ansatz beachtenswert, eine Programmierschnittstelle für die
Erstellung produkteigener Makros bereitzustellen. Hiermit wird der blinde Nutzer in die Lage versetzt, Anpassungen für
Anwendungsprogramme nach seinen eigenen
Bedürfnissen zu erstellen. Diese Möglichkeit könnte einen breiteren Effekt haben, wenn die
Infrastruktur für die
Verteilung der von Nutzerseite erstellten Anpassungen bereitgestellt würde.
Weitere
Entwicklungsaufgaben warten, um die Konzepte zur blindengerechten Umsetzung der grafischen Bedienoberfläche zu vervollständigen.
Ungelöst ist bisher die Darstellung der grafischen Hilfslinien, die den Umgang mit Tabellen, Kopf-/Fußzeilen und positionierten
Datenelementen erleichtern. Bei den
Zeichenformaten ist die Entwicklung schon so weit fortgeschritten, daß eine optimale
Lösung zu erreichen wäre, wenn die verschiedenen Ansätze in einem Produkt zusammengeführt werden könnten. Auch im Einsatz der Sprachausgabe können die Hersteller voneinander lernen.
Im Interesse der weiteren konzeptionellen Arbeit bleibt zu hoffen, daß die
Hilfsmittelhersteller dem ökonomischen Druck noch längere Zeit standhalten können, so daß die Vielfalt der
Lösungsansätze erhalten bleibt.
2.4 Nachschlagewerke
4. Tabellarische Darstellung der Ergebnisse der praktischen Prüfung
Erstellt: 10.08.1998 19:51 Aktualisiert: 14.12.1998 21:46
Autor: Brigitte Bornemann-Jeske et al.
Copyright © 1998 BIT GmbH - Mailto: 0402987340@t-online.de
Modellversuch im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung