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Infobrief


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Bemerkens-
wertes zur Barrierefreien Informations-
technik

bit.infobrief Nr. 2 vom 09.07.2003

Liebe Kollegen,

in diesem Sommer feiert das Behindertengleichstellungsgesetz sein Einjähriges.


1. Bestandsaufnahme

Unsere Bibel, die BITV (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung) ist am 24.07.2002 in Kraft getreten, kurz nach dem BGG (Behindertengleichstellungsgesetz), dessen §11 sie ausführt. Seitdem haben wir verbindliche Regeln für barrierefreies Internet in Deutschland. Nach einem Jahr ist es Zeit für ein Resumé: hat sich etwas getan?

Im Mai berichtete ein Marktforschungsinstitut über "Barrierefreie Stadtportale": fast alle (94%) hätten von der BITV gehört, 26% richteten sich bereits danach, 71% wollten im Laufe der nächsten 12 Monate ihren Internetauftritt anpassen. Dies ergab eine Befragung bei den 100 größten deutschen Städten. Kaum zu glauben, denkt der Fachmann, und liest nach. Siehe da: die Befragten wurden erschreckt mit der Unterstellung, sie seien in der Pflicht, und zwar ab 1.1.2004. Dagegen gilt die BITV tatsächlich nur für Bundesbehörden, von denen die meisten Zeit haben bis Ende 2005. Vielleicht sollte man die Städte in einer ruhigen Minute noch einmal befragen.

Nicht gefragt, sondern getestet hat das AbI (Aktionsbündnis barrierefreie Informationstechnik) in seiner Benchmarking-Studie an 60 Internetangeboten des Bundes, der Länder und auch von Städten. Keiner der Kandidaten verdiente das Prädikat "barrierefrei" im Sinne der BITV. Jedoch waren bei 16 Kandidaten entsprechende Bemühungen zu erkennen, und zwar überwiegend bei Angeboten des Bundes. Nur 3 der erkennbar um Barrierefreiheit Bemühten gehörten zu Ländern und Kommunen. Es tut sich also wirklich etwas unter dem heilsamen Zwang der BITV.

Bei den Ländern und Kommunen kann es noch länger dauern, denn ihre Verpflichtung auf Barrierefreiheit hängt ab von den erst langsam nachkommenden LGGs (Landesgleichstellungsgesetze). Am 25. Juni hat Bayern sein LGG verabschiedet und ist damit das vierte in der Runde derer, die wie das BGG eine barrierefreie Informationstechnik fordern. Da stimmt es etwas nachdenklich, dass noch kein Bundesland eine Durchführungsverordnung entsprechend der BITV erlassen hat. Nirgends außerhalb der Bundesbehörden haben wir verbindliche Terminpläne. Woher diese Zurückhaltung?

Wie ist es mit Post, Bahn, Telefonbuchverlagen und anderen privatwirtschaftlichen Einrichtungen? - Die müssen nicht die Barrierefreiheit aktiv betreiben, sondern dürfen laut BGG abwarten, bis sie von einem autorisierten Behindertenverband zu einer Zielvereinbarung gebeten werden. Wann? Jederzeit. Wo? Überall. Voraussetzung ist nur, dass die Verbände bereit sind. Das Zielvereinbarungsregister beim BMGS (Bundesministerium für Gesundheit und Soziales) ist eingerichtet und verzeichnet mit Datum Mai 2003 den ersten Eintrag. Es geht um die Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr, hier die Stuttgarter Stadtbahn.

Mehr kann man doch gar nicht verlangen von einem Jahr BITV.

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2. Was ist barrierefreies Internet?

Was ist das? - Es ist verbindlich geregelt, aber nicht nachprüfbar. Es ist ganz einfach, aber schwer zu machen. Wer Vollzug meldet, macht sich verdächtig. - Genau, das ist das barrierefreie Internet.

Es fällt schwer, nicht philosophisch zu werden angesichts der Welten, die sich aktuell auftun zwischen Presse, Mailinglisten und praktischer Beratungsarbeit. Immer wieder Meldungen vom barrierefreien Relaunch einer Website, die der oberflächlichsten Überprüfung nicht standhalten. Fundamentalisten, die über den Buchstaben des Gesetzes seinen Geist vergessen. Tüftler, die alle unklaren Regeln auf- und wieder zudecken. Dazwischen fragen Praktiker nach erprobten Checklisten und müssen enttäuscht werden. Jeder macht sich seine Prioritäten selbst. Das haben wir nun davon, dass wir amerikanische Richtlinien übernehmen, die zwischen visionärem Prinzip und technischer Regel eine produktive Spannung schaffen wollen, und sie zu einem deutschen Gesetz machen.

Was haben wir zur Orientierung?

  • Die Quelle aller Checklisten ist die vom W3C (Word Wide Web Consortium) herausgegebene "Liste der Checkpunkte zu den Zugänglichkeitsrichtlinien für Web-Inhalte 1.0." Nur für Power User zu empfehlen.
  • Vereinfachte Checklisten sind Ansichtssache. So auch die renommierten Richtlinien der IBM zur Erstellung barrierefreier Internetseiten.
  • Praxisnahe Erläuterungen zu allen Richtlinien der BITV gibt die Aktion Mensch in der Serie "BITV für Alle". Hierin wird auch auf einige schwierig umzusetzende Checkpunkte eingegangen.
  • Diskussion und Erfahrungsaustausch finden statt auf der Mailingliste WAI-DE des Fraunhofer-Instituts. Hier werden so manche Regeln erst in Rede und Gegenrede ausdefiniert.
  • Überlegungen zu einem gebrauchstauglichen Testverfahren gibt Brigitte Bornemann-Jeske in verschiedenen Kongressbeiträgen.
  • Erste Beispiele für standardisierte Testverfahren finden sich in der oben erwähnten Benchmarking-Studie des AbI und in einem Test des BIK-Projekts für Stiftung Warentest vom Juli 2003.
  • Eine verbindliche Zertifizierung nach BITV wird im AbI angestrebt. Im September 2003 wollen die im AbI zusammen-geschlossenen Partner ein Verfahren für stichprobenartige Kurztests abstimmen.

Fazit: die Interpretation der BITV ist auch heute noch eine Sache von Experten. Die technischen Regeln sind im Einzelfall nicht letztgültig ausdefiniert. Rechtssicherheit kann nicht gewährt werden. Um so höhere Anerkennung verdienen alle Betreiber von Internetangeboten, die sich aus Überzeugung um Barrierefreiheit bemühen.

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3. Best Practices

Wer es heute wagt, seine Seiten barrierefrei zu nennen, erklärt in der Regel seine Vorgehensweise. Dabei gibt es verschiedene Strategien, die alle ihre Vor- und Nachteile haben.

  • Understatement. bund.de, das Dienstleistungsportal des Bundes, hat sich ohne großes Presseecho bereits im März 2003 als barrierefrei erklärt, aber nur nach WAI A, der niedrigsten Konformitätsstufe der WCAG 1.0 (Web Content Accessibility Guidelines). Dabei ist es mit Accessibility-Features nur so gespickt, vieles davon sicherlich noch im Versuchsstadium.
  • Optimierung für Blinde. Munch und Berlin, die Website zur Munch-Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin, wurde in Kooperation mit Blindenorganisationen und Screenreader-herstellern entwickelt. Viele erstaunliche Features helfen Blinden bei der Orientierung, verletzen aber geradezu provokativ die Regeln.
  • Webstandards. stern.de wird gerne als Beleg angeführt, dass man nur mit validem HTML und CSS schon sehr weit kommt, ohne sich explizit um Barrierefreiheit bemühen zu müssen.
  • Mustergültig. Barrierefreies Webdesign, die Seite zum Thema, brachte im Juni den lange vorbereiteten Relaunch. Es gibt ein neues, für Sehbehinderte optimiertes Design und viele regelgerechte Darstellungstechniken.
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4. Preisausschreiben

Wer sich jetzt noch traut, oder vielleicht gerade neuen Mut gefasst hat, kann seine Website zum BIENE-Award anmelden, eine Initiative von Aktion Mensch und Stiftung Digitale Chancen. Prämiiert werden die besten barrierefreien Angebote im Internet in den Kategorien E-Commerce, E-Government, Kultur und Gesellschaft, Wissenschaft und Forschung, Medien. Anmeldungen werden noch bis zum 1. September entgegengenommen.


Soviel für heute.

Herzliche Grüße, und erholsame Sommertage

Brigitte Bornemann-Jeske

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