BITE Homepage BITE-Zwischenbericht 1997
Anforderungsprofile
II. Die Anforderungsprofile - Übersicht
Bearbeitungsstand
Grundlage der
Produktprüfung sind die mit Nutzerbeteiligung erstellten
Anforderungsprofile. Die Anforderungsprofile für die
Produktgruppen "
Windowsanpassungen für
Blinde" und "
Braillezeilen" wurden in der ersten
Fassung bis zum
Oktober 1996 unter wesentlicher
Mitarbeit des
Anwendergremiums ausgearbeitet und waren in dieser Form Grundlage der
Entwicklung von
Prüfverfahren. Das
Anforderungsprofil "Windowsanpassungen für Blinde" wurde nach den
Erfahrungen der
Produktprüfungen überarbeitet und liegt hier in der zweiten Fassung vor. Für das Anforderungsprofil "Großbildsysteme" stehen noch
Detailausarbeitungen sowie ein weiterer
Abstimmungsdurchgang mit dem
Anwendergremium aus.
Konzeption
Der erste
Entwurf der
Anforderungsprofile entstand auf der
Basis von
Praxiswissen der
Projektmitarbeiter und von
Literaturstudien. Der
Projektarbeit waren eine Vielzahl von
Arbeitsplatzgestaltungen und
Schulungen an
Arbeitsplätzen
Blinder und
Sehbehinderter vorausgegangen. Weiterhin waren bereits von anderen
Autoren einige
Ansätze zur
Systematisierung der Nutzeranforderungen an
Hilfstechniken für
Blinde und
Sehbehinderte in
Fachzeitschriften und auf
Fachtagungen vorgetragen worden.
Die grundlegende
Entscheidung bestand darin, die
Anforderungen an die Hilfstechniken nach
Anregungen aus
DIN/EN 29421
Ergonomische Anforderungen für
Bürotätigkeiten mit
Bildschirmgeräten zu gliedern. Insbesondere in den
Teilen 10,
Grundsätze der
Dialoggestaltung, und 11, Anforderungen an die
Gebrauchstauglichkeit, sind eine
Fülle von
Festlegungen enthalten, die für eine umfassende
Berücksichtigung aller Aspekte der Gebrauchstauglichkeit von
Computersystemen
Sorge tragen. Diese waren sinngemäß auf die besonderen Anforderungen für
Zugangstechniken für Blinde und Sehbehinderte zu übertragen. Es ergab sich ein einheitliches
Gliederungsschema für die
Produktgruppen
Braillezeilen,
Windowsanpassungen für Blinde und Großbildsysteme: Teil 1 umfaßt die allgemeinen Anforderungen an die
Produktqualität, wie
Kompatibilität,
Betriebssicherheit,
Produktinformation und
Dienstleistung. Teil 2 beschreibt die
Arbeitsaufgaben, die von blinden und sehbehinderten
Anwendern mit dem
Computersystem ausgeführt werden sollen. Teil 3 versammelt Anforderungen an die
Präsentation der
Information durch das
Hilfsmittel, die die
Effizienz der
Aufgabenerfüllung wesentlich bestimmen.
Anregungen des Anwendergremiums
Die weitere
Ausarbeitung der
Anforderungskriterien geschah in enger
Zusammenarbeit mit dem
Anwendergremium. Hier waren
Praxisexperten versammelt, die sich durch vertieftes
Anwendungswissen auszeichneten und teils auch durch
Schulung und
Beratung eine Vielzahl von
Blinden- und
Sehbehindertenarbeitsplätzen kennengelernt hatten. Einige
Teilnehmer hatten selbst bereits
Marktübersichten und Anforderungskriterien für
Hilfstechniken vorgelegt. Durch
Brainstorming und
Diskussion, teils auch durch schriftliche
Beiträge wurde das
Praxiswissen der Teilnehmer eingebracht. Das
Gliederungskonzept der
Anforderungsprofile war aus
Sicht der
Projektleitung geeignet, das
Detailwissen der
Anwender aufzunehmen und in ein konsistentes
System von Nutzeranforderungen an die
Produkte zusammenzuführen.
Neben einer Vielzahl kleinerer Korrekturen sind auch einige wesentliche konzeptionelle Änderungen aus der Diskussion im Anwendergremium entstanden:
Um die
Praxisanforderungen an die
Hilfsmittel konkretisieren zu können, war ursprünglich geplant, typische Anwender und typische
Arbeitssituationen in Form von
Anwendungsszenarien zu beschreiben. Die Nutzeranforderungen an das Hilfsmittel sollten für die
Szenarien jeweils verschieden gewichtet werden. Dieses
Konzept wurde nach der
Fachdiskussion im Anwendergremium und im
Beirat fallengelassen. Es bestand die
Besorgnis, daß durch die Szenarien veraltete
Berufsbilder zementiert würden, die dem raschen
Wandel der
Aufgabenstrukturen im
Bürobereich nicht gerecht würden und einer pauschalierenden
Anwendung von
Testergebnissen
Vorschub leisten würden. Um diesen berechtigten
Bedenken entgegenzukommen, wurde auf die
Beschreibung von Anwendungsszenarien verzichtet. In den Anforderungskriterien wurden nun die Nutzeranforderungen soweit möglich allgemeingültig beschrieben. Um ein möglichst breites
Spektrum abzudecken, wurden allgemeine
Aufgaben der
Text- und
Datenverarbeitung auf verschiedenen
Qualifikationsstufen zugrundegelegt. Es wurde ein
Kanon der meistverbreiteten
Standardsoftware definiert, mit der die Aufgaben zu lösen sind. Die
Gewichtung der
Kriterien sollte dem einzelnen Anwender überlassen bleiben, der die
Ergebnisse der
Produktprüfung für seine
Arbeitsplatzausstattung auswertet. Es wurde beschlossen, einen
Anwenderfragebogen zu entwickeln, der die
Ermittlung individueller, person- und arbeitsplatzspezifischer
Anforderungen unterstützt und eine individuelle Gewichtung der allgemein formulierten Anforderungen erlaubt.
Eine multimediale
Ausgestaltung der
Windows-Anpassungen für
Blinde wurde von den
Anwendern eindringlich gefordert. Zugleich stellte sich heraus, daß der
Entwicklungsstand der Produkte seit der
Projektplanung ausreichend weit fortgeschritten war, um Nutzeranforderungen für eine multimediale
Wiedergabe der
Information präzisieren zu können. Dieser
Punkt wurde somit in die Anforderungskriterien aufgenommen. Es wurde beschlossen,
Sprachausgaben nicht als separate
Produktgruppe, sondern integriert in Windows-Anpassungen für Blinde zu behandeln. Auch Großbildsysteme sollten als multimediale Windows-Anpassungen für
Sehbehinderte verstanden und in
Kombination mit
Sprachausgabe untersucht werden. Hiermit wurde für Hilfstechniken unter
MS
Windows die
Klassifikation von
Produktgruppen nach
ISO 9999 als
Grundlage der Produktprüfung teilweise aufgegeben.
Die
Auseinandersetzung um
Zielsetzung und
Methoden des
Modellvorhabens, über die weiter oben berichtet worden ist, machte deutlich, daß durch die veränderten
Arbeitsanforderungen unter MS Windows auch eine
Entwicklung der
Arbeitsweisen blinder
Computerbenutzer eingeleitet worden ist. Ein einheitliches
Bild der
Arbeitsweise
Blinder und
Sehbehinderter unter den neuen Anforderungen gibt es derzeit noch nicht. In der weiteren Ausarbeitung des
Verfahrens für Windows-Anpassungen wurde darauf geachtet, sowohl einfache als auch differenziertere Anforderungen angemessen zu berücksichtigen.
Erfahrungen aus dem Testdurchlauf
In der
Auseinandersetzung mit den
Erhebungsinstrumenten und mit den
Ergebnissen der praktischen
Prüfung wurden weitere
Erkenntnisse gewonnen, die in die
Fortentwicklung der
Anforderungskriterien eingingen. Insbesondere bei der
Produktgruppe
Windows-Anpassungen für
Blinde hatte sich gezeigt, daß die Art der
Fragestellung sehr detailliert sein muß, um eindeutige
Ergebnisse zu erhalten.
In den Anforderungskriterien für die Produktgruppe Windows-Anpassungen wurden die
Arbeitsaufgaben, die mit der
Hilfstechnik zu lösen sind, detaillierter beschrieben. Es wurden exemplarische
Aufgaben formuliert, die für ein bestimmtes
Qualifikationsniveau repräsentativ sind. Der
Umfang der Arbeitsaufgaben wurde so gefaßt, daß eine
Überprüfung der Durchführbarkeit im
Rahmen der
Produktprüfung möglich ist. Die
Indikatoren zur
Lösung der
Aufgabe durch das
Hilfsmittel wurden präzisiert, diese sind von dem
Stand der
Anwendungssoftware abhängig und daher
Bestandteil der
Erhebungsinstrumente. Aus den Ergebnissen der Produktprüfung konnten die
Anforderungen an die
Effizienz des
Hilfsmittels präziser gefaßt werden.
Ausblick
Im bisherigen Verlauf des
Modellvorhabens konnten die Nutzeranforderungen an
Hilfsmittel zum
Computerzugang für
Blinde und
Sehbehinderte in wesentlichen
Bereichen ausgearbeitet werden. Es sind aber auch die derzeit noch in
Entwicklung befindlichen oder kontroversen
Bereiche deutlich geworden.
Durch die weiter fortschreitende technische Entwicklung kommen neue
Arbeitsmöglichkeiten und auch -anforderungen auf Blinde zu, die in den
Anforderungskriterien bisher nur rudimentär berücksichtigt sind. Ein
Beispiel ist das Internet, das Blinde verstärkt mit für
Sehende aufbereiteter
Information konfrontiert. Weiterhin zeichnen sich auf dem
Markt der betriebswirtschaftlichen
Software
Konzentrationsprozesse ab, die es erlauben, beispielsweise die
Standardsoftware
SAP/R3 in den
Kanon der für
Blindenarbeitsplätze relevanten
Anwendungen aufzunehmen. Hiermit könnte ein
Tätigkeitsfeld aufgeklärt werden, das bisher dem undurchdringlichen
Bereich der proprietären
Datenbankanwendungen zugeordnet werden mußte. Im weiteren Verlauf des Modellvorhabens sollen aus den geplanten
Anwenderbefragungen
Hinweise gewonnen werden, inwieweit diese neuen
Anforderungen sich an
Blindenarbeitsplätzen bisher realisieren konnten.
Die
Arbeitsweise
Blinder und
Sehbehinderter entwickelt sich unter den neuen
Arbeitsanforderungen ebenfalls weiter und kann teilweise von fortgeschrittenen
Anwendern bereits beschrieben werden. Ein einheitliches
Bild und eine
Typisierung der verschiedenen individuellen
Lern- und
Arbeitsweisen sind aber derzeit noch nicht möglich. Somit bleiben die Anforderungen an eine effiziente
Wiedergabe der Information durch das Hilfsmittel auf einem relativ vorläufigen
Stand. Hier ist weitere kognitionspsychologische
Grundlagenforschung zur
Informationsverarbeitung bei
Blindheit erforderlich. Aus den
Ergebnissen des Modellvorhabens können hierzu
Problembeschreibungen beigesteuert werden.
Die
Integration von
Sprachausgaben in
Windows-Anpassungen wurde im ersten
Durchgang noch nicht in aller
Konsequenz berücksichtigt. Seitdem wurden sowohl in den
Produktprüfungen als auch bei den blinden und sehbehinderten Anwendern weitere
Erfahrungen gewonnen, die die
Fortentwicklung der Anforderungskriterien in dem bewährten
Verfahren erlauben. Dies soll im
Rahmen der weiteren
Arbeit des Modellvorhabens geschehen.
Erstellt: 17.07.1998 18:45 Aktualisiert: 14.12.1998 21:45
Autor: Brigitte Bornemann-Jeske et al.
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Modellversuch im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung