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II. Die Anforderungsprofile - Übersicht

Bearbeitungsstand

Grundlage der Produktprüfung sind die mit Nutzerbeteiligung erstellten Anforderungsprofile. Die Anforderungsprofile für die Produktgruppen "Windowsanpassungen für Blinde" und "Braillezeilen" wurden in der ersten Fassung bis zum Oktober 1996 unter wesentlicher Mitarbeit des Anwendergremiums ausgearbeitet und waren in dieser Form Grundlage der Entwicklung von Prüfverfahren. Das Anforderungsprofil "Windowsanpassungen für Blinde" wurde nach den Erfahrungen der Produktprüfungen überarbeitet und liegt hier in der zweiten Fassung vor. Für das Anforderungsprofil "Großbildsysteme" stehen noch Detailausarbeitungen sowie ein weiterer Abstimmungsdurchgang mit dem Anwendergremium aus.

Konzeption

Der erste Entwurf der Anforderungsprofile entstand auf der Basis von Praxiswissen der Projektmitarbeiter und von Literaturstudien. Der Projektarbeit waren eine Vielzahl von Arbeitsplatzgestaltungen und Schulungen an Arbeitsplätzen Blinder und Sehbehinderter vorausgegangen. Weiterhin waren bereits von anderen Autoren einige Ansätze zur Systematisierung der Nutzeranforderungen an Hilfstechniken für Blinde und Sehbehinderte in Fachzeitschriften und auf Fachtagungen vorgetragen worden.
Die grundlegende Entscheidung bestand darin, die Anforderungen an die Hilfstechniken nach Anregungen aus DIN/EN 29421 Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten zu gliedern. Insbesondere in den Teilen 10, Grundsätze der Dialoggestaltung, und 11, Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit, sind eine Fülle von Festlegungen enthalten, die für eine umfassende Berücksichtigung aller Aspekte der Gebrauchstauglichkeit von Computersystemen Sorge tragen. Diese waren sinngemäß auf die besonderen Anforderungen für Zugangstechniken für Blinde und Sehbehinderte zu übertragen. Es ergab sich ein einheitliches Gliederungsschema für die Produktgruppen Braillezeilen, Windowsanpassungen für Blinde und Großbildsysteme: Teil 1 umfaßt die allgemeinen Anforderungen an die Produktqualität, wie Kompatibilität, Betriebssicherheit, Produktinformation und Dienstleistung. Teil 2 beschreibt die Arbeitsaufgaben, die von blinden und sehbehinderten Anwendern mit dem Computersystem ausgeführt werden sollen. Teil 3 versammelt Anforderungen an die Präsentation der Information durch das Hilfsmittel, die die Effizienz der Aufgabenerfüllung wesentlich bestimmen.

Anregungen des Anwendergremiums

Die weitere Ausarbeitung der Anforderungskriterien geschah in enger Zusammenarbeit mit dem Anwendergremium. Hier waren Praxisexperten versammelt, die sich durch vertieftes Anwendungswissen auszeichneten und teils auch durch Schulung und Beratung eine Vielzahl von Blinden- und Sehbehindertenarbeitsplätzen kennengelernt hatten. Einige Teilnehmer hatten selbst bereits Marktübersichten und Anforderungskriterien für Hilfstechniken vorgelegt. Durch Brainstorming und Diskussion, teils auch durch schriftliche Beiträge wurde das Praxiswissen der Teilnehmer eingebracht. Das Gliederungskonzept der Anforderungsprofile war aus Sicht der Projektleitung geeignet, das Detailwissen der Anwender aufzunehmen und in ein konsistentes System von Nutzeranforderungen an die Produkte zusammenzuführen.
Neben einer Vielzahl kleinerer Korrekturen sind auch einige wesentliche konzeptionelle Änderungen aus der Diskussion im Anwendergremium entstanden:
Um die Praxisanforderungen an die Hilfsmittel konkretisieren zu können, war ursprünglich geplant, typische Anwender und typische Arbeitssituationen in Form von Anwendungsszenarien zu beschreiben. Die Nutzeranforderungen an das Hilfsmittel sollten für die Szenarien jeweils verschieden gewichtet werden. Dieses Konzept wurde nach der Fachdiskussion im Anwendergremium und im Beirat fallengelassen. Es bestand die Besorgnis, daß durch die Szenarien veraltete Berufsbilder zementiert würden, die dem raschen Wandel der Aufgabenstrukturen im Bürobereich nicht gerecht würden und einer pauschalierenden Anwendung von Testergebnissen Vorschub leisten würden. Um diesen berechtigten Bedenken entgegenzukommen, wurde auf die Beschreibung von Anwendungsszenarien verzichtet. In den Anforderungskriterien wurden nun die Nutzeranforderungen soweit möglich allgemeingültig beschrieben. Um ein möglichst breites Spektrum abzudecken, wurden allgemeine Aufgaben der Text- und Datenverarbeitung auf verschiedenen Qualifikationsstufen zugrundegelegt. Es wurde ein Kanon der meistverbreiteten Standardsoftware definiert, mit der die Aufgaben zu lösen sind. Die Gewichtung der Kriterien sollte dem einzelnen Anwender überlassen bleiben, der die Ergebnisse der Produktprüfung für seine Arbeitsplatzausstattung auswertet. Es wurde beschlossen, einen Anwenderfragebogen zu entwickeln, der die Ermittlung individueller, person- und arbeitsplatzspezifischer Anforderungen unterstützt und eine individuelle Gewichtung der allgemein formulierten Anforderungen erlaubt.
Eine multimediale Ausgestaltung der Windows-Anpassungen für Blinde wurde von den Anwendern eindringlich gefordert. Zugleich stellte sich heraus, daß der Entwicklungsstand der Produkte seit der Projektplanung ausreichend weit fortgeschritten war, um Nutzeranforderungen für eine multimediale Wiedergabe der Information präzisieren zu können. Dieser Punkt wurde somit in die Anforderungskriterien aufgenommen. Es wurde beschlossen, Sprachausgaben nicht als separate Produktgruppe, sondern integriert in Windows-Anpassungen für Blinde zu behandeln. Auch Großbildsysteme sollten als multimediale Windows-Anpassungen für Sehbehinderte verstanden und in Kombination mit Sprachausgabe untersucht werden. Hiermit wurde für Hilfstechniken unter MS Windows die Klassifikation von Produktgruppen nach ISO 9999 als Grundlage der Produktprüfung teilweise aufgegeben.
Die Auseinandersetzung um Zielsetzung und Methoden des Modellvorhabens, über die weiter oben berichtet worden ist, machte deutlich, daß durch die veränderten Arbeitsanforderungen unter MS Windows auch eine Entwicklung der Arbeitsweisen blinder Computerbenutzer eingeleitet worden ist. Ein einheitliches Bild der Arbeitsweise Blinder und Sehbehinderter unter den neuen Anforderungen gibt es derzeit noch nicht. In der weiteren Ausarbeitung des Verfahrens für Windows-Anpassungen wurde darauf geachtet, sowohl einfache als auch differenziertere Anforderungen angemessen zu berücksichtigen.

Erfahrungen aus dem Testdurchlauf

In der Auseinandersetzung mit den Erhebungsinstrumenten und mit den Ergebnissen der praktischen Prüfung wurden weitere Erkenntnisse gewonnen, die in die Fortentwicklung der Anforderungskriterien eingingen. Insbesondere bei der Produktgruppe Windows-Anpassungen für Blinde hatte sich gezeigt, daß die Art der Fragestellung sehr detailliert sein muß, um eindeutige Ergebnisse zu erhalten.
In den Anforderungskriterien für die Produktgruppe Windows-Anpassungen wurden die Arbeitsaufgaben, die mit der Hilfstechnik zu lösen sind, detaillierter beschrieben. Es wurden exemplarische Aufgaben formuliert, die für ein bestimmtes Qualifikationsniveau repräsentativ sind. Der Umfang der Arbeitsaufgaben wurde so gefaßt, daß eine Überprüfung der Durchführbarkeit im Rahmen der Produktprüfung möglich ist. Die Indikatoren zur Lösung der Aufgabe durch das Hilfsmittel wurden präzisiert, diese sind von dem Stand der Anwendungssoftware abhängig und daher Bestandteil der Erhebungsinstrumente. Aus den Ergebnissen der Produktprüfung konnten die Anforderungen an die Effizienz des Hilfsmittels präziser gefaßt werden.

Ausblick

Im bisherigen Verlauf des Modellvorhabens konnten die Nutzeranforderungen an Hilfsmittel zum Computerzugang für Blinde und Sehbehinderte in wesentlichen Bereichen ausgearbeitet werden. Es sind aber auch die derzeit noch in Entwicklung befindlichen oder kontroversen Bereiche deutlich geworden.
Durch die weiter fortschreitende technische Entwicklung kommen neue Arbeitsmöglichkeiten und auch -anforderungen auf Blinde zu, die in den Anforderungskriterien bisher nur rudimentär berücksichtigt sind. Ein Beispiel ist das Internet, das Blinde verstärkt mit für Sehende aufbereiteter Information konfrontiert. Weiterhin zeichnen sich auf dem Markt der betriebswirtschaftlichen Software Konzentrationsprozesse ab, die es erlauben, beispielsweise die Standardsoftware SAP/R3 in den Kanon der für Blindenarbeitsplätze relevanten Anwendungen aufzunehmen. Hiermit könnte ein Tätigkeitsfeld aufgeklärt werden, das bisher dem undurchdringlichen Bereich der proprietären Datenbankanwendungen zugeordnet werden mußte. Im weiteren Verlauf des Modellvorhabens sollen aus den geplanten Anwenderbefragungen Hinweise gewonnen werden, inwieweit diese neuen Anforderungen sich an Blindenarbeitsplätzen bisher realisieren konnten.
Die Arbeitsweise Blinder und Sehbehinderter entwickelt sich unter den neuen Arbeitsanforderungen ebenfalls weiter und kann teilweise von fortgeschrittenen Anwendern bereits beschrieben werden. Ein einheitliches Bild und eine Typisierung der verschiedenen individuellen Lern- und Arbeitsweisen sind aber derzeit noch nicht möglich. Somit bleiben die Anforderungen an eine effiziente Wiedergabe der Information durch das Hilfsmittel auf einem relativ vorläufigen Stand. Hier ist weitere kognitionspsychologische Grundlagenforschung zur Informationsverarbeitung bei Blindheit erforderlich. Aus den Ergebnissen des Modellvorhabens können hierzu Problembeschreibungen beigesteuert werden.
Die Integration von Sprachausgaben in Windows-Anpassungen wurde im ersten Durchgang noch nicht in aller Konsequenz berücksichtigt. Seitdem wurden sowohl in den Produktprüfungen als auch bei den blinden und sehbehinderten Anwendern weitere Erfahrungen gewonnen, die die Fortentwicklung der Anforderungskriterien in dem bewährten Verfahren erlauben. Dies soll im Rahmen der weiteren Arbeit des Modellvorhabens geschehen.

Erstellt: 17.07.1998 18:45   Aktualisiert: 14.12.1998 21:45
Autor: Brigitte Bornemann-Jeske et al.
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Modellversuch im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung